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Während der vergangenen Feiertage konnte man die freie Zeit mit Streaming Serien im Weihnachtssessel verbringen. Zum Beispiel mit dem Serienfinale, der sechsten Staffel von The Crown. Das englische Königshaus interessiert mich bedingt, wobei meine Haltung zur Monarchie als Staatsform indifferent ist.

Was mich unbedingt beschäftigt, das sind die Gegensatzpole privat/öffentlich, Pflicht/Neigung, Wahrheit/Lüge, Schein/Wirklichkeit, Familie/Gemeinschaft. Da bietet diese Serie bestes Unterhaltungsmaterial mit Erkenntnissen zur eigenen Lebensbewältigung. Die Protagonisten sind allesamt persönlichkeitsgespalten. Erstaunlich, dass so wenige schizophrene Krankheitsbilder publik werden.

In ihrer Neujahrsansprache kündigte die dänische Königin Margrethe II. ihren schnellen Rücktritt zu Gunsten ihres Sohnes Frederik an. Mitunter bleiben die der Erklärung nicht bedürftigen Gründe, die wahren Handlungsmotive verborgen und werden nicht öffentlich gemacht. Nur, was keine seriöse Zeitung schreiben sollte, der botenmeister darf mal spekulieren.

Ganze Herrschaftsformen stehen weltweit auf unsicherem Fundament; Demokratien, weil freiheitsrelevant gefährdet, Autokratien nur durch Repression eingehegt, Monarchien als geschichtlich überholt gebrandmarkt.

Beim dänischen Kronprinzen, und hier beginnt die unseriöse Spekulation, wurden im letzten Jahr ernsthafte Eheprobleme vermutet. Sensibilisiert durch die TV Serie The Crown wird jetzt eine No-Go-Arena, auf dänisch No-Go-Områder betreten - ein die Staatsform gefährdendes Schauspiel und Minenfeld:

Ein königliches Rückenleiden wird womöglich zu einem Abdankungs- und Ablenkungsmanöver verdichtet. Nur um sicher zu gehen, dass der monarchischen Regierungsform nicht das Rückgrat gebrochen wird. Denn dem zukünftigen König die potenziell verlustig gehende Königsgattin in spe in verschmähter Absicht, das wäre für einen in den Startlöchern stehenden Königinprinzen Frederik rollengefährdend und ein Unheil für die dänische Fahrrad-Monarchie. Margrethes Rücktritt dient also mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit der Beseitigung einer außerehelichen- und Verhinderung einer staatstragenden Affäre und damit der Stabilisierung einer der Stetigkeit garantierenden Thronfolge in weiser, aber ungesunder Adelslogik gekrönter Häupter.

The Crown zeigt dem Publikum solche durch psychisches Toxin geschädigte Verrenkungen, eingeengt zwischen einerseits menschlicher Person und andererseits staatstragender Körperschaft aufs Eindringlichste. Und das auf jedem Zoll Filmrolle, auf gleichfalls höflichstem Niveau.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Königliche Dynastiegeschichte sogar in Schüttelreimen (englisch: „shake rhymes“). Und wenn sich Literatur mit Historie die Krone aufsetzt: Es war einmal ein vom Elternteil mit Trübsinn überschütteter dänischen Prinz mit Namen Hamlet ...

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Fröhliche Gaben zum Fest          Vom Himmel hoch, da komm ich her

Wenn nicht doch noch eine Weihnachtskugel vom Baum aufs Haupt darnieder fällt, keinerlei Sekt-Rakete an Sylvester den Blick trüben wird und die Hl. Drei Könige durch ihr Geschenkgewese Trägheit & Komfort erst gar nicht aufkommen lassen, dann gibt es ein Wiedererscheinen am: 2. Januar 2024 und dann auch wieder regelmäßig ab dem 12. Januar ff. 

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Weihnachten steht vor der Tür. Vom Christlichen Abendland geprägt, ob wir das/ „An Ihn“ glauben oder nicht. Der Verstand redet und widerredet, wer auch nur wenig emotionsflexibel ist, wird in diesen Vortagen melancholisch gestimmt, auch in Erinnerungen versetzt. Mehr Zeit ist vorhanden - ein Geschenk. In den Körpern und den Gliedern, Adventszeit ist fiebrige Zeit, wurde vielleicht kräftig aufgeräumt, Viren- Bakterien- und anderes Erkältungsgewese erfolgreich verstoßen. Ran an staubangesetzte Wandregale. Eine sich aus dem Staub gemachte CD inklusive beigelegtem Zeitungsausschnitt: seit „Alle Jahre Wieder“ nicht gehört! Eine akustische Wunderkerze in diesen letzten Stunden des Jahres!

„Dem Glücklichen schlägt keine Stunde, so heißt es. „Never send to know for whom the bell tolls, it tolls for thee”, schrieb der englische Lyriker John Donne. Ernest Hemingway stellte diese Zeilen seinem Roman voran: “Wem die Stunde schlägt“. Und nun hält Charlie Haden mit seinem Quartet West dagegen: „Now ist the Hour“. Ist er deshalb unglücklich? Oder gar out of time?

Was da schlägt, das zeigen schon die ersten Takte: die Stunde des humanized jazz, des bewußten Innehaltens im Scherbenhaufen der Moderne. Quartet West präsentiert: Freud und Leid der Welt in 59 Minuten und 40 Sekunden. Im Jahre 1959, als 22jähriger, hatte der Bassist Charlie Haden seinen musikalischen Weg im Umfeld des Saxophonisten Ornette Coleman gefunden. In einer traumhaften Karriere wirkte er an etwa 400 Plattenaufnahmen mit. Keith Jarrett, John Scofield, Bill Frisell, Paul Motian, Egberto Gismonti, Carla Bley, Pat Metheny - seine Ilustre Gesellschaft. Und dann, 1986, die Gründung des Quartet West: Reminiszenzen an das Amerika der vierziger Jahre. „Now Is The Hour“ ist die vierte Platte.

Schon die Orchestereinleitung zum ersten Stück „Here’s Looking At You“ verströmt eine Atmosphäre, wie sie für Hollywood-Filme dieser Zeit typisch ist. Wenn Ernie Watts dann die Melodie auf dem Saxofon bläst, scheint er in einem riesigen Westküstenclub mit Streamline-Ästhetik auf der Bühne zu stehen, während draußen unterm Sternenhimmel Lauren Bacall in wehender Garderobe einer großen Limousine entsteigt: Das ist Sehnsucht nach der Eleganz eines erfüllten Lebens, die da erklingt, nach Glück und Harmonie statt Stress und Therapie.

Charlie Haden spielt hier den Bass ganz schlicht, schlägt nur den Puls der Zeit. Für die Lebendigkeit im Rhythmus sorgt sein Schlagzeuger Larance Marable. Sanft, aber stetig und bestimmt werden die Zuhörer in die Szene geführt - willkommen im Club!

Doch dann: Victor Youngs „The Left Hand Of God” - kein Glamour-Sound, sondern eher ein orchestriertes Kinderlied in sakraler Stimmung, wie alle Streicherstücke auf der Platte arrangiert und dirigiert vom Pianisten des Quartet West, Alan Broadbent. Da lehnt der Clubbesucher plötzlich regungslos am Tresen, in sich gekehrt, gedankenverloren, und lauscht den Tönen, die Charlie Haden tief unter dem Orchester fließen lässt. Auf seinem Vuilliume-Bass von 1840 ersinnt er Improvisationen, von denen der Zuhörer glaubt, sie im gleichen Moment selbst zu erfinden - einen seltene Art von Übereinstimmung.

Haden spielt sparsam, als sei ihm jeder Ton heilig, über ihm die Streicher wie ein Schwarm Fische, darunter er in atemberaubender Langsamkeit. Er nimmt sich alle Zeit der Welt, um durch sein Instrument einzelne Töne manchmal sogar in Farbe und Textur wie auf einem Bild sichtbar zu machen. So bringt er das Publikum zu sich selbst und damit in die neunziger Jahre zurück. Nach viereinhalb Minuten Bass und Streichorchester setzt das Quartett ein, ungebrochen, fast naiv - aber so nah am Herzen der Zuhörer, wie es derzeit kaum ein anderes Ensemble vermag.

Charlie Haden glaubt an die positive Wirkung von Musik. Im Booklet zur CD zitiert er Luis Buñuel: „Unsere Fantasie und unsere Träume dringen fortwährend in unsere Erinnerungen ein, und weil wir alle glauben, dass unsere Fantasie real sei, verwandeln wir letztendlich unsere Lügen in Wahrheit. Sowohl Einbildung als auch Wirklichkeit sind persönlich und werden auf gleiche Weise erlebt, so dass es unerheblich ist, sie miteinander zu verwechseln.“ Ein Trick, um sich nicht mit dem Jazz nach dem Jazz auseinandersetzen zu müssen?

Im Hintergrund stöhnt leis‘ die Avantgarde: Furchtbar, die Leute, es reicht ihnen schon, wenn etwas schön ist, um es gut zu finden.“   Ulrich Paasch in DIE ZEIT vom 22.März 1996: Charlie Haden Quartet West: Now Is The Hour

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Das geflügelte Wort „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ stammt von Platon. Will ich selbst das nicht wissen, dann wähle ich die tote Sprache Latein und sage „Ipse se nihil scire id unum sciat.“ So verstehe ich rein gar nichts und bin laut neuster Pisa Studie in bester Gesellschaft.

Im unüberschaubaren Literaturangebot gibt es diese Freiflächen des Wissens auch. Selbst für Bücherwürmer und Bücherratten. Eine dieser Leerstellen heißt Adelheid Duvanel. Heute kennt die 1996 früh verstorbene Schriftstellerin aus Basel kaum noch jemand. Dabei wurde sie zu Lebzeiten als Erzählgenie gefeiert.

Lesenswerte Literatur sollte unterhalten - das ist hübsch. Sie kann belehren - das ist auch anstrengend. Ist sie kurzweilig, darf das Vergnügen auch länger dauern.

Müssen, Sollen, Können, Dürfen. Literatur muss rein gar nichts. Schon gar kein Moralin und ähnliches Gewese. Eins aber doch. Wiedererkennung in den Figuren. Handlungsstränge und Schicksale, welche die eigenen sein könnten. Spiegelung der eigenen, individuellen Lebensgeschichte. Geschichten sind so verschieden wie die Menschen. Individuell und einzigartig. Das macht Empfehlungen nicht leicht. Denn es heißt, den anderen berücksichtigen und nicht eigene Vorlieben in den Blick nehmen.

Der Klappentext eines Buches ist Empfehlung. Mal klappt es, mal klappt es nicht: Neugierde hervorrufen. Im Fall von Adelheid Duvanel fiel so eine neugierig machende Klappe:

„Ihre kurzen Erzählungen sind Momentaufnahmen aus dem Leben von meist versehrten Existenzen, die sich aber in ihren fatalen Verhältnissen auf unsichersten Grund mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegen. In den Welten, in denen sie leben, fängt immer alles so gut an und endet so entsetzlich schlimm. In ihrem eigensinnigen Beharren auf ihrer Sicht der Welt bewahren sie sich ihre Würde gegen die Zumutungen des Lebens. Ja, Duvanels Figuren finden gerade in der Abweichung vom Verlangten eine Kühnheit, die den Texten ihre umwerfende Energie gibt. Sie sind von hoher poetischer Präzision, jede Figur eine Einzelanfertigung. Ihre Figuren sind hellsichtige, gleichzeitig verstummte Menschen. Trotz ihres manchmal finsteren Inhalts leben die Texte von überraschenden, absurden Wendungen und einer wunderbaren hintergründigen Komik.“

 Adelheid Duvanel:    Fern von hier      Sämtliche Erzählungen

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Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) ist ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung. Der Jahresbericht 2023 des NKR wurde jetzt veröffentlicht. Sein Titel: „Weniger, einfacher, digitaler. Bürokratie abbauen. Deutschland zukunftsfähig machen.“ 

NKR - der Eintrag auf Wikipedia lautet dazu: „Der NKR prüft seit 2006 die transparente und nachvollziehbare Darstellung der Bürokratiekosten aus Informationspflichten und seit 2011 die gesamten Folgekosten (Erfüllungsaufwand) in allen Gesetzes- und Verordnungsentwürfen der Bundesregierung. Entscheidungsträger in Regierung und Parlament bekommen so belastbare Informationen darüber, welche Kostenfolgen mit ihren Entscheidungen ausgelöst werden. Darüber hinaus berät er die Bundesregierung in Sachen ‚Bessere Rechtsetzung‘. International setzt sich der NKR gleichermaßen für Transparenz über die Folgekosten der EU-Gesetzgebung ein. Grundlagen seiner Arbeit ist das im September 2006 verabschiedete NKR- Gesetz.“

Zur Klarstellung, zur Verdeutlichung - Der botenmeister macht sich heute smart und zitiert weiter aus Wikipedia Einträgen:

Bürokratiekosten sind Belastungen, die durch einen bestimmten Grad an Bürokratie beziehungsweise durch ein Mehr oder Weniger an Bürokratie entstehen. Der Begriff spielt sowohl in der Bürokratieforschung als auch im Zusammenhang mit den politischen Diskussionen zum Bürokratieabbau eine wichtige Rolle, da die gewählte Abgrenzung ein Einfluss auf die Ergebnisse beziehungsweise Schlussfolgerungen hat.

Der Bürokratiekosten-Begriff wird unterschiedlich verwendet.

Im Zusammenhang mit Unternehmen wird oft von Bürokratieüberwälzungskosten gesprochen. Bürokratieüberwälzungskosten bezeichnen dabei diejenigen Kostenbestandteile, die in privatwirtschaftlichen Unternehmen entstehen aufgrund der vom Staat auf die Privatwirtschaft durch Gesetz und Recht überwälzten Verwaltungsarbeiten (zum Beispiel Lohnsteueranmeldung), die die Privatwirtschaft dann für den Staat unentgeltlich zu erbringen hat.

Das Standardkosten-Modell (SKM) verwendet den Begriff der Informationskosten. Der Begriff kann insofern verwirrend sein, da es sich hierbei nicht um Kosten handelt, die das Unternehmen zur Informationsbeschaffung aufwenden muss, sondern um administrative Kosten, die aus der Bereitstellung von Informationen durch Unternehmen für öffentliche Einrichtungen oder Dritte resultieren. Obwohl im Zusammenhang mit dem SKM oft von der Messung aller Bürokratiekosten die Rede ist, stellen Informationskosten nur einen Teil der administrativen Kosten dar, die wiederum nur eine Untermenge aller Bürokratiekosten sind.

Häufig werden Bürokratiekosten fälschlich auch mit Regulierungskosten bzw. Erfüllungskosten gleichgesetzt. Zu solchen Kosten zählen aber alle Kosten, die im Zusammenhang mit der Erfüllung eines Gesetzes anfallen, also auch z.B. der gesetzlich vorgeschriebene Einbau von Filteranlagen.

Dem Empfinden vieler Normadressaten nach sind Bürokratiekosten Belastungen, die durch unsinnige oder zu viele Vorschriften entstehen.“

Nach nun gefühlt 60 bis 65 anstrengend zu lesenden Zeilen zurück zum NKR-Jahresbericht. Laut des Berichts belaufen sich allein die im Bereich der Wirtschaft liegenden Bürokratiekosten auf 65 Milliarden Euro. 60 Milliarden Euro ist die Summe, die der Bundesregierung beim ersten Schockerwachen fehlte wegen des „Klimafonds-Urteils“ des Bundesverfassungsgerichts.

Abschließend die Pointe, zu, zu schön, wenn es nicht so, so (kosten)ärgerlich wäre:

Auch der Regierungsarbeit selbst stellt der Normenkontrollrat ein mangelndes Zeugnis aus. In der Verwaltung sei das Tempo zu niedrig, bei den Gesetzgebungsverfahren dagegen das Tempo zu hoch. Die Bundesregierung ignoriere immer häufiger Einwände, Warnungen der anderen Verfassungsorgane sowie von externen Fachleuten aus Verbänden und aus der Wirtschaft. Mit dem Ergebnis: Gesetze von unzureichender Qualität, mit hohen Folgekosten und neuer Bürokratie. Schüsse aus der Hüfte herausraus sollten schon zielsicher treffen. Das Team Olaf ist aber sicher nicht die Olsen Bande.

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Wie funktioniert Propaganda? Propaganda ist dann erfolgreich und im Sinne ihrer Akteure, wenn sie über einen langen, kontinuierlichen Zeitraum betrieben wird. Um sich in alle Ecken und Winkel entfalten zu können. Sie ist dann effizient, wenn die Inhalte immer und immer wieder wiederholt werden – in großmöglichster Beharrlichkeit, Einfachheit und Eintönigkeit.

Das Perfide ist, jeder noch so sinnfreie und wahrheitslose Inhalt kann an den Mann gebracht werden. Und jedefrau und jedermann kann von machtvollen Verursachern manipuliert werden. Jeder, unabhängig von Bildung, Status, Charakter. Warum Wiederholung wirkt, weiß die psychologische Forschung, die offenlegt, dass Menschen Informationen eher glauben, wenn sie diese schon einmal gehört haben. Wobei „einmal“ stark untertrieben ist.

Die russischen Staatsmedien verfolgen diese Propagandastrategie seit Jahren, ja seit Jahrzehnten. Unter anderem gilt: Alle europäischen Staaten und die Nato-Staaten außer den USA sind Anhängsel und Marionetten Washingtons - eben kein freiwilliger Bund, der aufgrund gemeinsamer ziviler Werte Einigung schafft. Die falschen Behauptungen werden vom Kremlapparat wie Mantras in die Öffentlichkeit lanciert. Alle Medien, ausnahmslos vom Staat inzwischen auf Linie gebracht, operieren mit solch diffamierenden Nachrichten. Optimal über einen langen, langen Zeitraum hinweg. Dabei sollen insbesondere negative Gefühle geweckt werden, denn für Propaganda ist es sehr effektiv, Menschen Angst machende Informationen glauben zu machen. Damit wird toxisches Konzentrat mit Langzeitwirkung generiert.

Die Kenntnis von Propagandastrategien schützt nur bedingt vor ihnen. Gegen den von der Forschung benannten Wahrheitseffekt kann man sich nämlich nicht wehren. Studien zeigen, dass dieser Effekt Menschen unabhängig von ihren Persönlichkeitsmerkmalen, Charaktereigenschaften, Status und Lebensumstände betrifft. Ob Reich, arm, gebildet, ungebildet, wissbegierig, konsumfreudig, introvertiert, extrovertiert. Alles irrelevant, was die Manipulationsbetroffenheit betrifft.

Aus russischer Sicht ist der Westen keine differente Gruppe bestehend aus verschiedenen Ländern, unterschiedlichen Systemen. Kein europäischer Staat wird von Russland als unabhängig betrachtet. Stattdessen spricht man vom kollektiven Westen, von einem Staatenkonglomerat, das von den USA, als einziger souveräner Staat, fremdbestimmt wird. Das ist eins dieser unzähligen Rus-Narrative, die durch wieder wiederholte Wiederholungen an Glaubwürdigkeit, nicht nur gewinnen sollen, sondern tatsächlich gewinnen.

Emotionen schüren, vereinfachen und: Immer, immer wieder Wiederholen. Die Methode wird genutzt als Gegenentwurf zum aufgeklärten Westen. In der russischen Einflusssphäre, wo „konservative“ Werte, die im Westen bedroht sind, noch gelten sollen, „gilt“ dann: Russland als Friedensstifter in der Ukraine, als Beschützer der dortigen Zivilbevölkerung - mit kriegerischen Mitteln herbeigeführt.

Warum das Beispiel russische Machthaber gewählt wird? Da hilft ein Blick in die russische Literaturgeschichte. Weltliteratur verfasst von Puschkin, Tolstoi, Dostojewski, Turgenjew, Solschenizyn und wie sie alle heißen. Die Russen sind einfach die besseren Kenner der menschlichen Psyche. In Kombination mit jahrzehntelanger geheimdienstlicher Herrschaftsausübung ist das Kontrastbild hierzulande, die sogenannte Lügenpresse, wenn überhaupt, lediglich und vergleichsweise ein Schiss in der neuzeitlichen Geschichte.

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Der chinesische Politiker Zhou-Enlai soll um das Jahr 1970 gesagt haben, es sei noch zu früh, die Bedeutung der Französischen Revolution von 1789 zu beurteilen, eine der Geburtsstunden demokratischer Staatenbildung. Dass Menschen altern und sterben wissen wir. Doch auch ganze Staatengebilde können gebrechlich werden bis zur Auflösung.

Im jugendlichen Alter habe ich Musik von den Pet Shop Boys gehört. Sie veröffentlichen heute immer noch Aktuelles, kürzlich ein Stück mit dem Titel Kaputnik. Der Forschungszweig, welcher sich mit dem Verschwinden ganzer Staaten beschäftigt, heißt Kollapsologie.

Je älter ein Mensch wird, desto höher ist das Risiko, zu erkranken oder zu sterben. Den Statistiken nach steigt die Sterblichkeit des Menschen bis zum Alter von 80 Jahren mit exponentieller Dynamik an.

Forscher von der Universität Wageningen in den Niederlanden haben bei Staaten nun einen ähnlichen Prozess der Erschlaffung festgestellt. Auch Gemeinwesen altern bis zum Kollaps. Das schlossen die Forscher aus einer Analyse untergegangener Reiche. Nach ca. 200 Jahren ist das Risiko eines Zusammenbruchs am höchsten. Das individuelle 80 ist also das neue gemeinschaftliche 200! Gemeinwesen werden mit fortschreitendem Alter gebrechlich wie der Mensch.

Dazu werteten die Wissenschaftler Daten zu mehr als 600 historischen Gemeinwesen aus, in einer Zeitspanne zwischen 2000 vor Christus und 1800 nach Christus. Sie stießen auf ein Muster: Gegründet und dann später untergegangen nach immer schwieriger werdendem Verlauf von jeweils ca. 200 Jahren. Die nach der Gründung noch jungen Gemeinwesen seien stabil, als verfügten sie über eine Art Bonus der Jugendlichkeit. Wenn dann Staaten älter werden, reduzieren sich die Fähigkeiten, adäquat auf Katastrophen, Invasionen und andere Herausforderungen zu reagieren.

Wir wissen, der menschliche Körper benötigt mit fortschreitendem Alter mehr Zeit, um sich von Verletzungen zu erholen. Und auch Staaten brauchen gleichsam lange, um nach Krisensituationen wieder zur Normalität zurückzukehren. Der Alterungsprozess beschleunige sich im Laufe von zwei Jahrhunderten; in dieser Zeit steige das Risiko, dass ein Staat untergeht. Und diese Steigerung verlaufe ebenfalls in exponentiellen Schritten.

Es sind verschiedene Effekte, die Staaten altern lassen. Etwa zunehmende Umweltschäden wie Abholzung oder Erosion der Böden nach intensiver Nutzung. Auch die Folgen von Überbevölkerung, Invasionen von außen, gehören zu den Effekten. Zudem Ungleichheit, immer komplexer und dadurch anfälliger werdende Formen der Organisation und Institutionen, welche dem Ende zu nur noch dem eigenen Selbstzweck dienen. Auffällig sind Entscheidungen, die nicht mehr im Interesse aller sind, sondern lediglich zum Wohle nur noch weniger, sozusagen allein zugunsten einer Elite weit oben.

Eine Frage drängt sich auf: Ob es auch in unseren Gemeinwesen bereits Anzeichen eines drohenden Zusammenbruchs gibt. Und die Frage, wie lange das noch gut geht?

Auffällig bis zur Hinfälligkeit sind die Parallelen der mit fortschreitendem Alter immer störanfälligeren Zellen im menschlichen Körper zu den zunehmenden Ansprüchen und dem dekadenten Gebaren, diesem Gewese unzähliger Bevölkerungszellen in Humangestalt innerhalb der Körperschaften. So sei es dann gewesen: Quod erat demonstrandum.

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Vor kurzem wurde an Loriot erinnert. Anlass war in memoriam sein 100. Geburtstag. Ein Begriff, der in dem Andenken auftauchte, war jener der Distanz.

Loriot war Humorist. Humor hat seinen Ursprung in der Tragik des Lebens. Wer in einem tragischen Zustand lebt, wird diese Tragik als Last und Bürde empfinden. Dann hilft es, zurückzutreten und sich selbst aus einer gewissen Entfernung zu betrachten. Denn solange man in seinem eigenen Kokon gefangen ist, hat man keine Freiheit. Keine Freiheit zu genießen. Keine Freiheit sich zu freuen. Kurz, keine Freiheit zu leben.

Psychotherapeuten verhelfen im professionellen Gewese zur Distanz. TV-Loriot, den kennt man auf einem Sofa sitzend. Bei ihm gab es keine Zufälle - zumindest hat Loriot sich bemüht, diese wie sonst nur Fettnäpfchen zu umgehen. Loriot war Künstler, sein anderes Ich Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow ein akribischer Handwerker. Er brauchte keine künstlichen Armlehnen, denn er besaß eine bürgerliche Rückenlehne. Sein Sofa, aufrecht sitzend, nicht flattrig liegend, war eine Anspielung an die Therapeuten Couch und den in seinem Elendssud weinerlich darniederliegenden Menschen, der aufgrund einer wechselnden Blickrichtung – und das ist ironiefrei ausschließlich positiv gemeint – sogar zur Lachnummer seines Lebens werden kann.

Distanz also!

In allen Sketchen, Cartoons, auch in seinen beiden Spielfilmen ist es vorhanden, dieses Seht es doch mal anders. Loriots humorvolle Sichtweisen fußen auf Abstand.

Und da gibt es zusätzlich noch seine Komik 2.0. Loriot hat uns, den Zuschauern, den Spiegel vorgehalten, regelmäßig von uns unbemerkt. Oder wir haben es missverstanden in dem Sinne, dass wir nur den anderen, aber nicht uns selbst erkannten. Was wiederum urkomisch ist, denn man lacht, entlarvt vom anderen, über sich selbst, meint aber dabei diesen anderen, den man gerade verlacht, zumindest ignoriert, schlimmstenfalls beschimpft und denkt dabei vor allem doch nur an sich, in der Missachtung seines Gegenübers bei konstant fehlender Empathie und dem Verlust der eigenen Spiegelneuronen.            

????   ___   ;-);-);-);-)

P.S.: Loriots wegsichtige Ansichten, helfen auch, nicht selbstgerecht, sondern im Ausgleich und Gleichklang zwischenmenschlich zu kommunizieren. Um das aneinander Vorbei- und überfallartige Überreden einzuhegen. Nicht: „Hermann? – Ja! - Was machst Du da? – Nichts! – Nichts, wieso nichts? - Ich mache nichts! - Gar nichts? – Nein! – Überhaupt nichts? – Nein, ich sitze hier! – Du sitzt da? – Ja. - ……“

Und ich schreibe hier und höre jetzt auf (ausnahmsweise bis zum nächsten Freitag, den 8. Dezember), dem anderen mit Aufmerksamkeit zu.

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Das Ideal demokratischer Praxis ist die Politische Wahrhaftigkeit. Transparenz und Authentizität sind Grundlagen der demokratischen Gesellschaft. Nicht zum Kern demokratischer Identität gehören: Kalkulierte Unaufrichtigkeit, Manipulationen und Propaganda. Zu Lügen - Brockhaus-Definition: gegen das bessere Wissen mit der Absicht zu Täuschen verbundene Unwahrheiten - gehören auch Zweideutigkeiten, Verstellung, Wortbrüchigkeit. Alles Formen der Verleitung zum Irrtum, wie es förmlich heißt.

Die Sprache von Donald Trump, ganz anders: Im Bemühen, für das kommende Jahr genügend Wähler für sein Präsidentschaftscomeback zu gewinnen und beim Versuch, sein Niveau auf seine Wähler zu übertragen oder es mit ihnen zu teilen, hat der Expräsident ein weiteres Mal verbale Tabus verletzt und Ekel-Sprachhürden eingerissen.

Denn inzwischen verwendet er eine faschistoide Rhetorik. Er sprach davon, dass er Ungeziefer im Land ausrotten werde. Er meinte „Kommunisten, Marxisten, Faschisten und linksradikale Gangster“. Mit Ausnahme der „Faschisten“ ist sein Redeinhalt nicht mehr von Reden aus der Nazi-Zeit von vor achtzig, neunzig Jahren zu unterscheiden. Sein Getöse lässt befürchten: Er meint es ernst.

Die Nationalsozialisten hatten die rhetorische Entmenschlichung ihrer Gegner in ihrer Propaganda sehr professionell vorangetrieben. Sie sorgten für die Übertragung der Begriffe aus der Biologie auf die Gesellschaft, um so in der allgemeinen Wahrnehmung eine Rangordnung zu etablieren, von Menschen und sogenannten Untermenschen. Durch die dauernde Wiederholung der Bezeichnung Ungeziefer für Juden, und auch für Regimekritiker jeglicher Couleur, sollten Tatsachen und eine Wirklichkeit geschaffen werden, dass diese gebrandmarkten Menschen keine Menschen seien. So bereitet man Menschheitsverbrechen vor und sorgt für deren Rechtfertigung bei späterer Ausführung.

Für Trump scheint das Vorgehen nationalsozialistischer Täter eine Blaupause für seine Zukunftsagenda zu sein. Und er hat mit seinen jüngsten Äußerungen nicht nur eine neue Stufe der rhetorischen Eskalation betreten.

Mittlerweile erklärt er auch, er wolle den amerikanischen Rechtsstaat beseitigen. Die Zerstörung von demokratischen Institutionen ist somit rhetorisch vorbereitet. Wer das nicht ernst nimmt, ist geschichtsvergessen und realitätsblind. Trump reiht sich in die Kontinuität vieler Autokraten und Tyrannen ein. Diese kündigen sehr präzise und in aller Deutlichkeit das an, was sie später im Amt ausführen werden. Wer Trump wählt, wer ihn auch nur für vorbildlich (v)erklärt, muss ihn beim Wort nehmen und sich nicht wundern, wenn seinen Worten Menschheitsverbrechen folgen.

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Unter dem Begriff Ressentiment versteht man die auf Vorurteilen, aber auch auf Unterlegenheitsgefühlen, sowie Neid und auf ähnlich vorherrschenden Emotionen beruhenden Abneigungen gegen andere Personen - in Disharmonie mit der Um- und Lebenswelt.

Der Autor Thomas Gutknecht erkennt in Ressentiments Phänomen eine Selbstvergiftung der Seele, hervorgerufen durch Kränkungs- und Ohnmachtserfahrungen. Das Buch dazu: Mut und Maß statt Wut und Hass

Angeregt von der Lektüre die folgenden Sätze, eher zusammenhangslos, ohne Verbund. Der Hinweis, dass sich nicht nur die Psychologie, sondern auch die Sozialpsychologie mit dem Phänomen beschäftigt, denn auch ganze Bevölkerungsgruppen können Ressentiment aufgeladen sein.

Immer glaubt ein Mensch/eine Gruppe mit Ressentiments moralisch im Recht zu sein. Das Spießbürgerrecht lässt grüßen! Aus diesem Recht heraus glaubt er/ glauben sie andere miss- und verachten zu können.

Der Mensch erlebt im Zusammenhang mit Ohnmacht und Ungerechtigkeit eine Kränkung. Das Ressentiment braucht den Gegenspieler.

Aus der Schwäche, deren Ursache die erlittene Kränkung ist, folgt eine eigens konstruierte moralisch „starke“ Position, welche erlaubt, andere Sachen, Dinge und Mitmenschen zu kritisieren, zu verachten, mit Nichtbeachtung zu begegnen.

Thomas Gutknecht spricht in seinem Buch auch von Ressentimentalität. Diese Wortschöpfung aus der Zusammenführung der Wörter Ressentiment und Mentalität bezeichnet eine Einstellung, die zu einer Haltung führt, welche die ganze Person umfasst, also die Gedanken, Verlautbarungen, Meinungen, Kommentare,…, auch die gesamte Körpersprache ist von dieser Geisteshaltung bestimmt.

Einige vom Ressentiment Getriebene sitzen still, privat in einer Ecke mit einem Gesichtsausdruck der Überlegenheit, schmallippig mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Andere, das sind auch die öffentlichkeitswirksamen Wutbürger.

Ressentiments entwickeln eine enorme Sprengkraft. Der Ressentiments-Gemütszustand kann wachsen und gedeihen, wenn Menschen sich gekränkt, auch über allen Maßen ohnmächtig fühlen.

Zeit kann Wunden heilen. Manchmal aber auch nicht. Dann steigert sich das Gefühl der Kränkung, wird stärker und stärker. Ein schleichender Prozess der Vergiftung beginnt. Und diese schleichende Vergiftung bewirkt, dass die Seele immer mehr in jene Untiefen versinkt, wo Häme, Neid und die Sehnsucht, andere abzuwerten, die Hoheit der Gefühle in Besitz nehmen. Selbstvergiftung der Seele - diesen Begriff hat der Philosoph und Soziologe Max Scheler (1874 – 1928) geprägt.

Freudlosigkeit ist damit verbunden. Keine Freude, keine Fröhlichkeit. Und den anderen gönnt man die Freude auch nicht. Was bleibt dann vom Leben noch übrig? Es bleibt die seelische Vergiftung. An die Stelle der Lebensfreude tritt das Leiden. Es kommt zu einem Leben, geprägt vom seelischen Schmerz. Das Leid ist empfundenes Leid, bedingt von allem möglichen, nur nicht - trotz allem Ich-Sagens – selbstursächlich.

Andererseits, der Schmerz, der gibt mir eine gefühlte Überlegenheit anderen gegenüber, eine moralisch legitimierte, selbstgerechte Haltung zur Verachtung. Das muss nicht immer, kann aber bis zu einer hasserfüllt wütenden Verachtung führen. Immer vorhanden ist eine Wahrnehmungsverzerrung der eigenen Umwelt und gegenüber den Mitmenschen. Leben in einem Tunnel der Illusionen mit gleichnamigen Blick nach draußen.

Vom Ressentiment getriebene Menschen verwenden viel Kraft darauf, ihre Haltung zum Leben nicht in Frage zu stellen. Menschen mit starken Ressentiments fühlen sich immer als Opfer. Das gibt ihnen ein Jammerrecht – anatomisch erkennbar an dem im Oberstübchen zu verorteten Jammerlappen. (Wer meint betroffen zu sein, der Ratschlag: Rasch um eine MRT-Bildwiedergabe dieser höhernäsigen Corpusregion bemühen!) Schuld an der eigenen Lebenslage sind sowieso immer die anderen, mit der Irrlicht Einschätzung, nichts an der eigenen Lebenslage aus eigenem Antrieb ändern zu können.

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