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In der Magazinbeilage der Süddeutsche Zeitung erscheint jede Woche in der Freitagsausgabe die Rubrik „Gute Frage“. Besonders angesprochen hat mich heute dieser Satz: „Ihre Gäste werden ihnen Dinge erzählen können, die ihre Welt größer machen.“ Die eigene, ach so kleine Ego-Welt, die im Leben erbärmlich winzig bleiben wird, wenn die Fähigkeit, die Bereitschaft, die Neugier fehlt, den selbstbezogenen Blick vom eigenen Nabel in die nahe und auch die ferne Umgebung zu heben. Um z.B. auf Mitmenschen zuzugehen, ihnen zuzuhören, die eigenen Ansichten im Miteinander zur Diskussion und mitunter auch mal in Frage zu stellen. Die aktuelle Frage mit der nachfolgenden Antwort:

„Eine neue Kollegin fragt mich ständig, wann ich sie und ihren Mann zum Essen einlade, sie habe gehört, ich koche gut. Vorausgegangen war zugegebenermaßen ein Gespräch, bei dem ich etwas wie 'Najawirkönnenjamalzusammengrillen' gesagt habe. Auch meinen Mann konfrontiert sie mit dieser Frage. Wir fanden die beiden sympathisch, aber diese Penetranz hat uns die Lust auf einen solchen Abend und weiteren Umgang verdorben.

Wir würden unsere Einladungen gerne selber aussprechen und uns nicht dazu ‚zwingen‘ lassen, möchten sie aber auch nicht mit einem klaren Nein vor den Kopf stoßen. Die beiden sind aus Iran und haben wohl noch nicht viele Kontakte hier. Ich bin so weit zu versuchen, ihr aus dem Weg zu gehen.“ Antonia U., Leonberg

Johanna Adorján: „Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, Drehbücher zu schreiben? Sie haben auf jeden Fall eine große Begabung für unvorhergesehene Plot-Twists. Beim ersten Satz ist man voll und ganz auf Ihrer Seite. Unmöglich, denkt man mit Ihnen, was erlaubt sich diese neue Kollegin.

Doch schon im nächsten Satz wendet sich das Blatt, als Sie mit der Information herausrücken, ‚zugegebenermaßen‘ möglicherweise nicht ganz unschuldig zu sein am Eindruck, Sie wollten die Kollegin zum Essen einladen.
Schließlich erwähnen Sie noch, dass diese Kollegin und ihr Mann aus Iran sind. Sie schreiben das beiläufig, als spiele es keine große Rolle. Aber die spielt es eben doch. Ihre Kollegin ist aus einem Kulturkreis, in dem Gastfreundschaft viel wichtiger und auch selbstverständlicher ist als bei uns. Hinzu kommt, dass man mit den hiesigen Kommunikationsgepflogenheiten wohlvertraut sein müsste, um den Unterschied zwischen einer nur höflich dahingemurmelten und einer wirklich gemeinten Einladung zu verstehen. Für solche Feinheiten muss man manchmal Jahre in einem Land verbracht haben, und es klingt, als wären Ihre Kollegin und deren Mann noch nicht allzu lange hier. Zumindest mutmaßen Sie, die beiden seien womöglich noch etwas einsam.


Spätestens an dieser Stelle wird wohl jeder, der Ihre Frage liest, dasselbe denken: Es wäre so schön, wenn Sie darüber hinwegsehen könnten, dass Ihre Kollegin ein bisschen drängelt. Denken Sie nicht weiter darüber nach und laden Sie die beiden einfach ein. Es wird bestimmt ein netter Abend. Auf jeden Fall ein interessanter. Ihre Gäste werden Ihnen Dinge erzählen können, die Ihre Welt größer machen. Und wenn Sie Glück haben, revanchieren sie sich mit einer Gegeneinladung. Jeder, der schon einmal persisch bekocht wurde, kann Ihnen sagen: Darauf können Sie sich freuen!“

Süddeutsche Zeitung Magazin Nr.17 2023, 28. April 2023

 

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